Aktuelle Lage zur ISO/IEC-Klage gegen die Europäische Kommission
Hintergrund: Der lange Weg zur Transparenz von Normen
Im Jahr 2018 lehnte die Europäische Kommission einen Antrag der Organisationen Public.Resource.Org Inc. und Right to Know CLG ab, die freien Zugang zu mehreren technischen Normen nach der Dokumentenzugangsverordnung (EG) Nr. 1049/2001 gefordert hatten.
Das Gericht der Europäischen Union bestätigte diese Entscheidung 2021 zunächst. Doch am 5. März 2024 kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) dieses Urteil im sogenannten „Malamud“-Urteil (C-588/21 P):
Die Kommission hätte Zugang zu den harmonisierten Normen (hEN) gewähren müssen.
Als Reaktion richteten die nationalen Normungsorganisationen Leseportale ein, die Einsicht in bestimmte hEN ermöglichen.

Alles zur Klage von ISO und IEC lesen
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Die Klage von ISO und IEC: Ein neuer Konflikt
Am 6. Dezember 2024 reichten ISO und IEC eine Klage gegen die Europäische Kommission ein (T-631/24).
Die Kernargumente der beiden Normungsorganisationen:
Folgen für die Praxis: Blockade bei der Veröffentlichung harmonisierter Normen
Seit Jahresbeginn werden keine harmonisierten Normen mit ISO-/IEC-Bezug mehr im EU-Amtsblatt veröffentlicht.
Die letzte Veröffentlichung mit IEC-Bezug war: EN 60456/A12:2023 (Durchführungsbeschluss (EU) 2025/72 vom 15. Januar 2025).
Auch im Leseportal der DIN Media GmbH gibt es keine neuen Fundstellen von hEN mit ISO/IEC-Bezug.
Besonders betroffen sind wichtige EU-Richtlinien und -Verordnungen, u. a.:
- Maschinenrichtlinie
- Niederspannungsrichtlinie
- EMV-Richtlinie
- ATEX-Richtlinie
- Medizinprodukteverordnung
Da viele hEN auf ISO/IEC-Normen basieren, betrifft dies auch globale Zertifizierungsprozesse.

Zentrale Herausforderung: Risiko im Konformitätsbewertungsverfahren
Das sogenannte Malamud-Problem erschwert der europäischen Industrie die sichere Anwendung von Normen. Hersteller, die bisher auf die automatische Vermutungswirkung harmonisierter Normen gesetzt haben, müssen nun umdenken.
Der Grundsatz lautet: „Rechtskonformität steht über Normkonformität.“
Gemäß EU-Rechtslage müssen Hersteller die grundlegenden Anforderungen der einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllen – unabhängig davon, ob eine Norm gelistet ist oder nicht.
Beispiel Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU: Produkte dürfen nur bereitgestellt werden, wenn sie gemäß Stand der Sicherheitstechnik keine Gefährdungen verursachen.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Schlussfolgerung: Notwendigkeit neuer Prozesse in Unternehmen
Für Entwickler und Konstrukteure ist es entscheidend, diese neuen Rahmenbedingungen zu kennen. Unternehmen müssen ihnen Zeit, Tools und Wissen bereitstellen, um weiterhin rechtssicher konstruieren und dokumentieren zu können.
Nützliche Informationen
Zugang zu harmonisierten Normen: Im DIN-Leseportal stehen ausgewählte hEN zur kostenlosen Einsicht bereit. Hier gelangen Sie direkt zum Portal.
Michael Loerzer
Michael Loerzer ist Geschäftsführer der Globalnorm GmbH, einem führenden Spezialisten für Normungs- und Konformität Fragen. Mit langjähriger Erfahrung unterstützt er Unternehmen dabei, sich im komplexen Umfeld internationaler Normen und Regularien sicher zu bewegen. Sein Schwerpunkt liegt auf der praxisnahen Umsetzung von Anforderungen aus Normung, Produktsicherheit und Konformitätsbewertung. Als Berater und Impulsgeber vermittelt er nicht nur Fachwissen, sondern auch konkrete Strategien, um Normung als Erfolgsfaktor für Innovation und Marktzugang zu nutzen.

Quellen
- Bildquellen von oben nach unten: the-2r-artificiality_adobestock_1330965606; daniel_adobestock_1654506367; doc-rabe-media_adobestock_136369120
- Text verfasst von Dipl.-Ing. (FH) Michael Loerzer, Geschäftsführer Globalnorm GmbH, Berlin



