Interview mit Prof. Dr. Benyoucef: Wie Unternehmen von Quantentechnologie profitieren können
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Quantentechnologien. Was macht dieses Forschungsgebiet für Sie so interessant?
Die Quantenphysik ist faszinierend, weil sie unser Verständnis der Wirklichkeit grundlegend in Frage stellt. Im Gegensatz zur klassischen Physik, in der Objekte vorhersagbaren Bahnen folgen, offenbart die Quantenmechanik eine Welt, in der Teilchen gleichzeitig in mehreren Zuständen existieren können, über große Entfernungen augenblicklich miteinander wechselwirken und sich auf eine Weise verhalten, die dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Was es noch spannender macht, sind seine technologischen Auswirkungen: Quantencomputer, Quantenkryptographie und Quantenteleportation revolutionieren Bereiche von der Datenverarbeitung bis zur sicheren Kommunikation.
Ihr kürzlich erschienenes Buch über photonische Quantentechnologie hat Aufmerksamkeit erregt. Worum geht es darin?
Mein Anliegen war es, einen Überblick über die aktuelle Forschung zu photonischen Quantentechnologien zu geben und das Thema aus verschiedenen Sichtweisen zu betrachten. Das Buch stellt die verschiedenen Forschungsrichtungen – Quantencomputing, Quantenimaging, Quantenkommunikation, Quantensensorik – vor und erklärt auch an konkreten Beispielen, wie Quantenmechanik der Gesellschaft nutzen kann. Ziel dabei ist es, für Leser aus Wissenschaft und Industrie eine Brücke zwischen theoretischen Grundlagen und praktischen Anwendungen zu schlagen. Als Autor konnte ich unter anderem Alain Aspect gewinnen, der 2022 den Physik-Nobelpreis für seine Forschung zu verschränkten Quantenzuständen erhalten hat.
Die Quantenphysik stellt unser Verständnis der Wirklichkeit grundlegend in Frage.
— Prof. Dr. Mohamed Benyoucef (Universität Kassel)
Wie könnten Unternehmen neue Quantentechnologien nutzen?
Quantentechnologien und insbesondere Quantencomputing haben das Potenzial, ganze Industriezweige zu transformieren. Grundsätzlich ist ihr Einsatz überall dort interessant, wo es große Datenmengen und hochkomplexe Probleme zu lösen gibt, an denen klassische Computer scheitern. Mit ihrer leistungsfähigen Rechenkapazität könnten Quantencomputer zum Beispiel Lieferketten optimieren, die Effizienz von Abläufen steigern oder die hochpräzise Zusammensetzung von Materialien ermöglichen. Im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung spielt auch die Quantenkommunikation eine wichtige Rolle. Hier werden Daten mit einem speziellen Verschlüsselungsverfahren übermittelt, was ein Höchstmaß an Sicherheit bietet.
Welche Branchen profitieren am meisten von den neuesten Entwicklungen?
Quantentechnologie eröffnet Unternehmen aus vielen unterschiedlichen Branchen neue Möglichkeiten. Im Finanzsektor können sensible Daten sicher und mit zeitlicher Präzision übermittelt werden. Die Bahn könnte ihren Fahrplan in Sekundenschnelle an unvorhergesehene Ereignisse anpassen, pharmazeutische Unternehmen könnten Medikamente effizienter zusammensetzen und in der medizinischen Bildgebung könnten dank hochpräzisem Quantenimaging Krankheiten früher diagnostiziert werden. Auch exakte Wettervorhersagen, ultragenaue Uhren und exaktere Navigationssysteme wären mit Quantentechnologien möglich. Grundsätzlich geht mit der Entwicklung der Quantentechnologie eine Verbesserung der nachhaltigen Innovation einher.
44 Milliarden Dollar betragen derzeit weltweit die Investitionen. Der globale Markt für Quantentechnologien soll bis 2040 laut Schätzungen mehr als 100 Milliarden Dollar betragen.
Das klingt alles noch recht theoretisch. Wie weit ist die Entwicklung im Moment?
Obwohl die Forschung rasante Fortschritte macht, gibt es derzeit noch keinen Quantencomputer auf dem Markt. In den nächsten Jahrzehnten wird es in erster Linie darum gehen, quantentechnologische Entwicklungen in die Praxis zu übertragen und sie nutzbar zu machen – also aus dem Forschungslabor in den Alltag. Dafür wird weltweit viel in den Sektor investiert. Die Globale Quanteninitiative, die die Forschung und Innovation in der Quantenwissenschaft und -technologie vorantreibt, wächst stetig, wobei die weltweiten Investitionen derzeit 44 Milliarden Dollar übersteigen. Es wird erwartet, dass der weltweite Markt für Quantentechnologien bis 2040 ein Volumen von mehr als 100 Milliarden Dollar erreichen wird. Das zeigt die globale Bedeutung der Quantenforschung.
Zurzeit arbeiten Sie im bundesweiten Forschungsnetzwerk „QR.N“ an Konzepten für sogenannte Quantenrepeater. Was genau versteht man darunter?
Quantenrepeater sollen – ähnlich wie ein Wlan-Repeater zuhause – eine sichere Übertragung von Informationen auch über größere Distanzen hinweg ermöglichen. Denn bisherige Quantenkommunikationssysteme stoßen bei der Übertragung über weite Strecken an ihre Grenzen. Ein Quantenrepeater fungiert hier als Knotenpunkt. Langfristiges Ziel des Netzwerks, in dem die Uni Kassel mit 41 weiteren Partnern aus Forschung und Industrie zusammenarbeitet, ist der Aufbau von Quantennetzwerken, die auch im Hinblick auf den Schutz unserer kritischen Infrastruktur ein ganz neues Level an Sicherheit böten.
Was sind die ersten Schritte, wenn Unternehmen perspektivisch Quantentechnologien nutzen möchten?
Zunächst muss man verstehen, dass viele Quantentechnologien noch in den Kinderschuhen stecken und es Zeit braucht, bis sie für alle nutzbar sind. Dennoch kann es sinnvoll sein, sich jetzt schon Wissen aus der Forschung ins Unternehmen zu holen – zum Beispiel in Form von Partnerschaften mit Universitäten oder Forschungseinrichtungen. Auch die Vernetzung mit Start-ups und IT-Unternehmen ist ein Vorteil, wenn es darum geht, immer auf dem neuesten Stand der Entwicklung zu sein. Um zielgerichtet zu investieren, sollten Unternehmen zudem eine Roadmap für die kommenden Jahre erstellen und konkrete Probleme identifi zieren, bei deren Lösung Quantentechnologien helfen könnten.
Prof. Dr. Mohamed Benyoucef
Prof. Dr. Mohamed Benyoucef leitet das Fachgebiet Quanten-Nano-Photonik am Institut für Nanostrukturtechnologie und Analytik (INA) der Universität Kassel. Seit 2022 hat er eine Heisenberg Professur für Experimentalphysik inne. Sein Studium absolvierte Benyoucef an der University of Bristol (UK), wo er auch promovierte. Anschließend arbeitete er an renommierten Universitäten und Institutionen, darunter das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Dessen Direktor und Abteilungsleiter zu dieser Zeit: Nobelpreisträger Klaus von Klitzing.

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Weitere Veranstaltung
Anlässlich des Internationalen Jahrs der Quantenwisssenschaft findet im Herbst die Q-Tech Kassel 2025 in den Räumen der Universität Kassel statt. Der Termin steht derzeit noch nicht fest. Fragen richten Sie an Prof. Dr. Mohamed Benyoucef.
Quellen
- Das Gespräch führte Pamela De Filippo. Erstveröffentlichung in der Wirtschaft Nordhessen 05/2025
- Titelbildquelle: SepazWorks_AdobeStock_1329623702