Ist Deutschland zu träge?
Tiefgreifende Veränderungen sind überall spürbar und deren Geschwindigkeit nimmt eher zu als ab. Das erkennt man schon allein an den immer kürzer werdenden Zeiträumen, die eine Technologie benötigt, um selbst globale Märkte zu durchdringen. Das Smartphone hat die Welt schneller erobert, als es in Deutschland möglich ist ein Infrastrukturprojekt, wie z. B. einen Bahnhof oder einen Flughafen zu bauen. Die neuen Technologien zerstören dabei etablierte Geschäftsmodelle, wie wir im letzten Blog berichten konnten, schaffen mitunter aber auch neue.
Bleibt die Frage, wie anpassungsfähig wir sein müssen und in welcher Geschwindigkeit der Fortschritt ablaufen sollte, damit wir den Anschluss nicht verpassen. Während Unternehmen an künstlicher Intelligenz basteln, diskutiert die Regierung darüber ob und wie Übertragungsraten von 50 MBit im gesamten Land ermöglicht werden – bis 2025. Die sind, wenn es denn einmal soweit ist, eher zu langsam.
Was braucht es also, um bei der Musik zu bleiben?
Zunächst Netzinfrastruktur, Glasfaser und 5G Mobilfunk und zwar zügig. Auch in der öffentlichen Verwaltung gibt es viel Optimierungspotenzial durch e-Gouvernement. Allein durch die Vernetzung der Behörden und Ämter können viele redundante Verwaltungsakte rationalisiert werden. Stichwort: Dauer der Unternehmensgründung im internationalen Vergleich.
Auch haben es die Regierungen bis hin zur EU bisher nicht geschafft für digitale Plattformen Regeln zu schaffen, die einer Monopolbildung durch die großen Player entgegen wirken. Der dadurch eingeschränkte Zugang zu digitalen Märkten ist eine wirksame Innovationsbremse. Lösen lässt diese sich, indem die Gesetzgeber geeignete Regeln erlassen, die den Wettbewerb fördern indem sie einen offenen Zugang zu den digitalen Märkten ermöglichen.
Die Wirtschaft brummt zurzeit und es müsste genug Geld für Investitionen vorhanden sein, aber trotzdem kann man nicht von einem florierenden Ökosystem für Risikokapital sprechen. Im Zusammenwirken von privatem Kapital und öffentlichen Finanzierungsprogrammen lässt sich sicher einiges optimieren.
Wenn ein Dienstanbieter sehr viele Bewegungsdaten von Autos analysiert, um uns auf dem bestmöglichen Weg durch die Staus zu manövrieren, ist das eine tolle Sache. Warum aber muss das betreffende Unternehmen wissen, dass ausgerechnet ich mit 140 Km pro Stunde auf der A7 bei Meldungen Richtung Norden fahre? Es würde für den Service völlig ausreichen zu wissen, wie viele Fahrzeuge sich dort mit welcher Geschwindigkeit bewegen – anonym. Eine Möglichkeit zu schaffen, über die Verwendung personenbezogener Daten besser zu bestimmen ohne die Gestaltungsräume für Innovationen unnötig einzuschränken, klingt vielleicht nach einem schwierigen Spagat, ist aber unabdingbar.
Insgesamt fällt auf, dass ein erheblicher Teil der zu bewältigenden Aufgaben im Pflichtenheft der politischen Entscheider liegt. Umso mehr wundert es, dass in der nun erfolgten Regierungsbildung Fragen der Digitalisierung auf mindestens vier Ressorts verteilt sind (Wirtschaft, Verkehr, Bildung und Inneres). Reibungsverluste sind da vorprogrammiert. Eigene Ministerien für Digitales gibt es bereits in Frankreich, Polen, Österreich und Großbritannien.
Michael Dietzsch, Regionalberater in Kassel, IHK Hessen innovativ