Die Krise ist die Zeit für Veränderungen

Corona beschleu­nigt die Digi­ta­li­sie­rung – auch Inno­va­tio­nen? Dr. Tho­mas Nie­mann, stell­ver­tre­ten­der Lei­ter von IHK Hes­sen inno­va­tiv, über feh­lende Blau­pau­sen, das Toyota-​​System und dar­über, was er in der Krise gelernt hat.

 

Herr Nie­mann, wel­che Unter­neh­men sind am bes­ten für eine Krise gewapp­net?

Unter­neh­men, die krea­tiv (inno­va­tiv), fle­xi­bel (lean) und tech­no­lo­gisch am Puls der Zeit (digi­tal) sind, kom­men in der Regel am bes­ten durch Kri­sen. Das hat die Ver­gan­gen­heit immer wie­der gezeigt. Für die Corona-​​Krise bedeu­tet dies: Digi­tale Unter­neh­men konn­ten sich wäh­rend des Lock­downs sehr schnell auf aktu­elle Her­aus­for­de­run­gen ein­stel­len. Inno­va­tive Unter­neh­men haben Inno­va­tio­nen auf die Zeit nach der Krise aus­ge­rich­tet. Und Unter­neh­men mit einem Lean-​​Management-​​Ansatz waren in der Lage, schwan­kende Nach­frage bes­ser aus­zu­glei­chen und Kun­den­be­dürf­nisse fle­xi­bel zu erfül­len – hier ist das Toyota-​​Produktions-​​System weg­wei­send, das der Auto­bauer nach dem zwei­ten Welt­krieg ent­wi­ckelt hat. Damit ist Toyota noch heute der effi­zi­en­teste und fle­xi­belste Auto­mo­bil­her­stel­ler der Welt.

 

Was haben inno­va­tive Unter­neh­men, was andere nicht haben?

Sie sind inter­dis­zi­pli­när und koope­ra­tiv auf­ge­stellt; For­schung, Pro­duk­tion und Ver­trieb agie­ren ver­netzt. Und vor allem: Dort arbei­ten Men­schen, die auch die Frei­heit haben, Feh­ler zu machen – und die das lie­ben, was sie tun. Begeis­te­rung ist ein star­ker Inno­va­ti­ons­trei­ber. So hat Viess­mann in Allen­dorf (Eder) in der Coro­na­krise Teile der Pro­duk­tion auf Beat­mungs­ge­räte und mobile Ver­sor­gungs­sta­tio­nen umge­stellt. Sämt­li­che Ideen zur Umset­zung kamen von den eige­nen Mit­ar­bei­tern.

 

Was raten Sie Betrie­ben, die nicht so auf­ge­stellt sind?

Sich nicht zu fra­gen: Wie kann ich den alten Zustand wie­der­her­stel­len? Son­dern zu über­le­gen: Was kann ich bes­ser machen? Was braucht die Welt von mor­gen und was kön­nen wir dazu bei­tra­gen? Dabei hilft es, sich zu ver­net­zen, den Aus­tausch zu suchen und sein Tun nach­hal­tig zu gestal­ten. Denn es ist falsch, sich auf ein Kurz­zeit­sze­na­rio ein­zu­stel­len – wir kön­nen nicht dar­auf war­ten, bis die Wirt­schaft wie­der so funk­tio­niert, wie vor Corona. Die Krise ist die Zeit für Ver­än­de­run­gen. Und einige wer­den diese Zeit bes­ser nut­zen als andere.

 

Und wo fängt man an?

Schritt für Schritt. Dabei sind viele Mit­tel­ständ­ler auf sich allein gestellt. Und viele machen den Feh­ler, alles auf ein­mal ange­hen zu wol­len. Das kann nur schief gehen. Kom­mu­ni­ka­tion und der Blick auf den Kun­den ist der Beginn: Was wol­len unsere Kun­den, wie kön­nen wir bes­ser zusam­men­ar­bei­ten? Lei­der gibt es für Inno­va­ti­ons­ma­nage­ment keine all­ge­mein­gül­tige Blau­pause, die auf alle über­trag­bar ist. Aber Inno­va­ti­ons­ma­nage­ment kann man ler­nen und es gibt viele gute Metho­den, wie Design Thin­king, Agile Deve­lop­ment oder Busi­ness Model Can­vas. Wer die Metho­den beherrscht, ist schon mal auf dem rich­ti­gen Weg.

 

Viele Unter­neh­men kämp­fen um ihre Exis­tenz – denkt da noch jemand daran, wie er sich inno­va­ti­ver auf­stel­len kann?

Zu Beginn der Krise ging es vor allem ums Über­le­ben – die Betriebe haben nach Mög­lich­kei­ten gesucht, zah­lungs­fä­hig zu blei­ben. Anfra­gen zur Corona-​​Sofort-​​Hilfe oder zu
Mikro-​​Krediten haben uns über­rollt. Jetzt, nach ein paar Mona­ten, wer­den unsere Inno­va­ti­ons­an­ge­bote wie­der stark nach­ge­fragt. Die Unter­neh­men inves­tie­ren wie­der in die Zukunft. Unser Zer­ti­fi­kats­lehr­gang zum Inno­va­ti­ons­ma­na­ger ist übri­gens aus­ge­bucht.

 

Ist die Krise ein Inno­va­ti­ons­trei­ber?

Einen Digi­ta­li­sie­rungs­schub hat sie jeden­falls gebracht – auch, weil es keine andere Mög­lich­keit gab. Viele waren gezwun­gen, mit einem Mini­mum an Erfah­run­gen neue Lösun­gen für neue Pro­bleme zu fin­den. Not macht erfin­de­risch…

 

Wie erfin­de­risch ist „IHK Hes­sen inno­va­tiv“ gewor­den?

Auch wir muss­ten von heute auf mor­gen umden­ken und uns kom­plett neu orga­ni­sie­ren: Wie hal­ten wir unser Team aus dem Home­of­fice her­aus zusam­men? Wie errei­chen wir unsere Kun­den trotz Dis­tanz? Wie wer­den wir digi­ta­ler und blei­ben doch per­sön­lich? Unser Ange­bot hat­ten wir in kur­zer Zeit kom­plett auf Online-​​Beratungen und –Semi­nare umge­stellt – dabei muss­ten wir neue Wege fin­den, da wir die For­mate aus der ana­lo­gen Welt nicht 1:1 in die vir­tu­elle Welt über­tra­gen kön­nen. Die For­mate haben sich ver­än­dert, aber unsere The­men sind geblie­ben: Digi­ta­li­sie­rung, Inno­va­tion und Agi­li­tät. Auch wenn wir inzwi­schen wie­der Prä­senz­ver­an­stal­tun­gen anbie­ten – einige Webi­nare wer­den blei­ben. Ver­net­zung geht am bes­ten per­sön­lich, aber reine Infor­ma­tio­nen kann man sehr gut auch online ver­mit­teln.

 

Was haben Sie in der Krise gelernt?

Einen neuen Weg zu suchen, wenn der alte nicht mehr begeh­bar ist. Und: Sein han­deln bes­ser zu fokus­sie­ren und schnell auf den Punkt zu kom­men.

 

Das Inter­view führte Mela­nie Dietz, IHK Wies­ba­den

Quelle