Haftung in untergebener Leitungsfunktion & unzureichende Arbeitssicherheit in der Produktion
Es war Anfang der 80er Jahre, in der Presse dominierten Ortsnamen wie Gorleben und Berichte über Anti-Atomkraft Demonstrationen, als in der Vorlesung Thermodynamik der Professor während eines Tafelanschriebs (das gab es damals noch) zum Dampfdruckdiagramm plötzlich innehielt, sich umdrehte und ohne jedweden Bezug zu seinen vorherigen Ausführungen bemerkte: „Ich bin ja eigentlich auch gegen Atomkraftwerke, da wir eben nicht die gesamte, zu ihrem sicheren Betrieb gehörende Prozesskette wirklich beherrschen. Ich wundere mich aber gerade, warum niemals jemand über die hunderten, vielleicht tausenden Toten und Verletzten redet oder redete, die während der industriellen Revolution durch Kesselexplosionen zu beklagen waren.“
Heute, über 200 Jahre nach James Watt, sind wir natürlich durchaus weiter. Mit dem „13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ wurde, zumindest in Deutschland, der Ausstieg aus der Energieversorgung durch Nuklearenergie beschlossen und auch der Begriff „Kesselformel“ dürfte den meisten Ingenieuren und Technikern zumindest noch aus Studium bzw. Ausbildung rudimentär bekannt sein. FEM-Simulationen, die in den meisten Vollversionen der aktuellen CAD-Programme ohnehin integriert sind, leisten dazu ein Übriges.
Heute haben wir ein Arbeitssicherheitsgesetz in recht komplexer Ausprägung, weitreichende Emissionsschutzverordnungen und eine Vielzahl von Normen, deren Anwendung vom Grundsatz her zwar lediglich freiwillig ist, auf welche in Gesetzen oder Rechtsverordnungen aber häufig verwiesen wird und womit diese dann durchaus Rechtsverbindlichkeit erlangen.
Damit einher geht häufig schnell die Frage, wer denn nun für die Umsetzung, Einhaltung, Anpassung und Überwachung o.g. Gesetze und Verordnungen im Unternehmen final verantwortlich zeichnet. Wer also im „worst-case“ zivil– oder sogar strafrechtlich haftet? Der Chef, der „Sicherheitsbeauftragte“, der Betriebs– oder Abteilungsleiter, vielleicht der Mitarbeiter selber? Wenn das mal so einfach wäre wie die besagte „Kesselformel“.
Alle Mitarbeiter mit Weisungsbefugnis haften!
Gerade in größeren Betrieben dürfte klar sein, dass eine Delegation der Verantwortung vom Arbeitgeber auf die verschiedenen Führungsebenen unumgänglich ist. Dies aber bedeutet, Führungskräfte auf jeder Hierarchieebene haften für die Einhaltung des Arbeitsschutzes in ihrem Aufgabenbereich. Ob es nun ein Produktionsleiter ist, ein Abteilungsleiter, oder auch ein Vorarbeiter oder Teamleiter, spielt dabei zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Der Schlüsselbegriff ist richtige Delegation mit Weisungsbefugnis! Wer nämlich Arbeitsanweisungen an Mitarbeiter gibt, ist verpflichtet auf die Einhaltung rechtsverbindlicher Regeln achten!
Ein Vorarbeiter sollte z.B. gemäß der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung beachten und überwachen, dass die Mitarbeiter in der Produktion die ggf. vorgeschriebene „Persönliche Schutzausrüstung“ tragen. Weiterhin muss er seine Mitarbeiter entsprechend unterweisen und ihnen, wenn nötig, auch die Sinnfälligkeit dieser Schutzausrüstung erläutern. Macht er dies nicht, haftet er bei einem Arbeitsunfall zumindest mit, kann also im schlimmsten Fall auch zivil– oder sogar strafrechtlich belangt werden. Und dazu kämen auch noch disziplinarische Folgen oder sogar Eintragungen in öffentliche Register… – das könnte man vermeiden-.
Selbstverständlich muss der Arbeitsschutz aber auch „von oben“ unterstützt werden. Arbeitsschutz ist Management-Kernpflicht. Abteilungs-, Produktions– und Werksleiter haben hier beispielsweise die Pflicht, nicht nur die o.g. Schutzausrüstung anzuschaffen und bereitzustellen, vielmehr obliegt ihnen ein Großteil der Verantwortung, auch die Produktionsmittel sicher zu gestalten und auch weiterführend sicher zu halten. Schließlich sind sie ja gerade durch ihre Fachkompetenz auch hinsichtlich dieser Problemstellungen in der Produktionstechnik in diese Position gelangt bzw. berufen worden.
So mag zunächst wohl noch die Frage bleiben, welche Funktion und Haftung dann eigentlich dem Sicherheitsbeauftragten bzw. den Fachkräften für Arbeitssicherheit des Unternehmens zukommt. Sind sie doch in Arbeitsschutzthemen ganz speziell geschult, werden häufig für Fortbildungsmaßnahmen freigestellt und man sollte doch glauben –und leider tun dies etliche Mitarbeiter in leitender Position in vielen Unternehmen mit denen die Verfasser dieses Artikels Kontakt pflegen-, gerade sie wären die entsprechend Verantwortlichen. Tatsächlich erfüllen sie aber lediglich eine Beratungsfunktion. Sie sollen und müssen die o.g. Verantwortlichen des Unternehmens kontinuierlich auf Probleme der Arbeitssicherheit aufmerksam machen. Da sie aber, in der Regel –und dies würde auch ihrer, vom Gesetz geforderten Unabhängigkeit im Wege stehen– keine Weisungsbefugnis haben, haften sie eben nicht! Denn, außer bei nachgewiesenem Vorsatz, sind, müssen und sollen sie zunächst nur „Mahner in der Wüste“ sein. Auf wen also die Ausführung von Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit zumindest teilwiese delegiert ist, sollte daher den Ball nicht einfach abspielen und hoffen, dass „ein anderer ihn auffängt“. Vielmehr muss die delegierte Verantwortlichkeit ernst genommen werden.
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!
Arbeitsschutz bedeutet kontinuierliche Information. Unwissenheit schützt hier nämlich –leider– nicht. Gewiss hat noch kein Besitzer eines Führerscheins oder ein Halter eines zugelassenen KFZs in Deutschland, Post vom Kraftfahrtbundesamt erhalten, nur weil sich Promillegrenzen, Maximalgeschwindigkeiten auf einer bestimmten Art von Straßen oder Verkehrszeichen bzw. –regeln geändert haben. Hier gilt, wie eben auch ganz besonders im betrieblichen Alltag, die Selbstinformationspflicht. Sei es aus der Presse et. al., wie gemäß obigem Beispiel bei Änderungen der StVO, oder eben aus Normen, BG-Vorschriften oder anderen entsprechenden Quellen hinsichtlich des betrieblichen Umfelds. Führungskräfte jedweder Position haften immer, auch wenn ihnen das möglicherweise nicht bewusst ist. Andernfalls verletzen sie nämlich ihre, ihnen vom Gesetzgeber zugewiesene und sicher berechtigt verlangte Fürsorgepflicht.
Dem Chef war’s zu teuer!
Was aber nun, wenn der weisungsbefugte Mitarbeiter, vielleicht durch eigene Auffassung oder durch kontinuierliche Hinweise des o.g. Sicherheitsbeauftragten aktiv tätig wird? Wenn er sich informiert was zur Absicherung des Arbeitsbereiches verfügbar und aus dem Markt lieferbar ist, Angebote einholt und dem Vorgesetzen diese vorlegt, sie aber unter Kostengesichtspunkten oder aus vermuteter eingeschränkter Verfügbarkeit und damit einhergehender Angst vor einer relevanten Reduzierung der Produktivität der Produktionsmittel ablehnt? Haftet er dann immer noch? Wie kann sich das „mittlere Management“ absichern, wie kann die Produktivität von Maschinen erhalten werden, obwohl diese vielleicht nicht mehr ganz so frei und „einfach“ zugänglich sind wie sie es immer waren und doch seit 2009 nicht mehr sein dürfen? Was, wenn überhaupt kein Platz mehr vorhanden ist, um Abgrenzungen aufzustellen?
Über diese Fragen werden am 07.09.2022, 15:00 – 16:30:
Professor Dr. Michael Johannes Pils Matthias Schulz Professor Dr.-Ing. Matthias Scheitza
(Taylor Wessing PartGmbB) (AXELENT GmbH) (Ing.-Büro: smart forming design) Arbeitsrecht Arbeitssicherheit Arbeitskreis Produktionstechnik
in einer Online-Konferenz referieren und diskutieren, zu der wir Sie hiermit herzlich einladen.
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