Gruselgeschichten
Folgt man einer aktuellen Bitkom Studie aus dem Februar, fallen demnächst Millionen Arbeitsplätze durch Digitalisierung weg. Abgesehen davon, dass die Studie nicht korrekt zitiert wird, was ist dran an den Gruselgeschichten für Arbeitnehmer?
- Die Entwicklung der Digitalisierung: Die wachsende Anwendung digitaler Technik wird ja gerne anhand zweier Fotos vom Petersplatz in Rom dargestellt: eins ist aus dem Jahr 2005 und zeigt viele 1.000 Menschen, die nach vorn zum Balkon schauen, wo der Tod von Papst Paul II. verkündet wird. Auf dem zweiten Foto aus 2013 sieht man viele 1.000 Lichter der Smartphones der auf dem Petersplatz versammelten Menschen anlässlich des Rücktritts von Papst Benedikt.
Innerhalb von nur 7 Jahren hat das Smart Phone die Welt erobert. Anhand der Daten kann man zeigen, dass es immer weniger Zeit brauchte, bis eine neue Technologie den Markt eroberte. Beim Telefon hat es 100 Jahre gedauert, beim Video 25 usw. Die Digitalisierung schreitet immer schneller voran (Mooresches Gesetz: regelmäßige Verdopplung der Speicherkapazität pro Zeiteinheit). Und deshalb rollt sie auf uns zu wie ein Tsunamie.
- Die Digitalisierung vernichtet Arbeitsplätze. Das ist die Urangst vor jeder technischen Revolution. Diese Argumente kamen während der Entwicklung der Roboter (3. Techn. Revolution – Automatisierung) vor 45 Jahren so wie schon beim Weberaufstand in der ersten technischen Revolution. Viel spricht dafür, dass auch diesmal wieder mindestens genauso viele neue Arbeitsplätze entstehen, wie durch Digitalisierung wegfallen.
Starke Argumente für die Jobverluste bereiten Prof. R. Kreutzer und K.-H. Land in ihrem lesenswerten Buch „Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus“ auf. Durch den zunehmenden Ersatz von Geräten durch digitale Daten, werden die meisten manuellen und (neu!) kognitiven Arbeiten überflüssig. Der Radiologe wird durch die Bildverarbeitungssoftware ersetzt, der Anwalt durch die Rechts-Datenbank. Und der Schlüsselhersteller und alle seine Angestellten durch die neue Smartphonefunktion Türöffnen.
Smarte Türschlösser benötigen keinen Schlüssel. Das ist zweifelsfrei eine Dematerialisierung. Die Autoren übersehen aber, dass die smarten Türschlösser auch hergestellt werden müssen. Das sind sogar ausgesprochene High Tech Geräte, die ein Vielfaches wert sind, als ein bisher übliches Türschloss. Natürlich benötigen sie keinen Schlüssel, außer für den Notfall. Es fällt etwas weg, es wird etwas woanders entwickelt und produziert. Techniker müssen die Schlösser einbauen und warten. Die Wertschöpfung verlagert sich, aber sie steigt.
Die Autoren übersehen auch, dass die rasante Verbreitung von Smartphones weltweit keine Dematerialisierung darstellt, sondern im Gegenteil, die Ausweitung der industriellen Produktion. Denn jede Person hält ja ein neues Gerät in der Hand, das recht aufwändig aus wertvollen Materialien hergestellt wurde. Die Milliarden Gewinne der GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) zeigen es. Tatsächlich haben 2013 80 % der Europäer ein Smartphone. Aber hatten nicht fast eben so viele Menschen im Jahr 2005 einen Fotoapparat? Es war nur nicht üblich, ihn ständig dabei zu haben.
Es soll nicht verharmlost werden: Längst sind Hersteller von Schallplatten, CD´s, Musikkassetten, Filmen, Diakästen, Diaprojektoren, Videokassetten, Wörterbüchern und Enzyklopädien vom Markt verschwunden. Die Zusammenstellung ist nicht zufällig, sondern orientiert sich daran, welche Gerätschaften ein Smart Phone ersetzen kann. Übrigens sind nicht alle Hersteller verschwunden, nur die sich nicht umstellen konnten oder wollten.
Aber parallel dazu sehen wir viele neue Geschäftsmodelle, die neben den Geräten und Produkten ganz neue Unternehmen riesengroß gemacht haben (s.o.). Nicht bei uns, aber z.B. im Silicon Valley. Das sind die Plattformbetreiber und Datenvergoldungsunternehmen.
- Fachkräftemangel ! Wann erstellt der Branchenverband Bitkom eine Studie, die uns zeigt, wie viele Stellen, die seit Monaten nicht besetzt werden konnten, durch geschicktes Digitalisieren ersetzt werden können? Damit unser Wohlstand auch bei stagnierendem Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung gesichert werden kann? Auch bei fehlenden Pflegekräften und Radiologen auf dem Land? Und ja, wenn der autonome LKW kommt, dann haben wir ein Problem mit den Fahrern, die alle umgeschult werden müssen.
Könnten Unternehmen die Umstellung respektive Digitalisierung steuern? Können Unternehmer die Digitalisierung zum Wachstum nutzen? Oder um ihre Marktstellung zu festigen? Was müssten/könnten sie dazu tun?
Fragen über Fragen. Deshalb bieten wir in ganz Hessen spezielle Sprechtage zur Digitalisierung an. Dort können Sie kostenfrei und unverbindlich mit unseren neutralen Unternehmensberatern über diese und weitere Fragen und Ihre Möglichkeiten sprechen.
Denn IHK Hessen innovativ setzt sich dafür ein, dass 1. durch die Digitalisierung Arbeitsplätze entstehen, dass diese 2. auch bei uns entstehen und dass 3. der Fachkräftemangel dadurch gemildert wird.
Dr. Kai Blanck
Regionalberater IHK Hessen innovativ, Frankfurt am Main