Geschäftsmodelle im Mittelstand sind noch wenig digital
Die Corona-Krise fungiert als Beschleuniger der digitalen Transformation und offenbart gleichzeitig, wo es diesbezüglich noch hapert. Eine aktuelle Untersuchung der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) kommt zu interessanten Einblicken. Leider führt uns die Corona-Pandemie sehr deutlich vor Augen, dass im deutschen Mittelstand die Geschäftsmodelle noch sehr wenig durch die Möglichkeiten der Digitalisierung weiterentwickelt worden sind.
Wer seine Umsätze im Wesentlichen mit dem Verkauf physischer Produkte bestreitet, ist schnell an seine Grenzen gestoßen. Wo der Verkauf der Produkte ohne Nutzung digitaler Möglichkeiten ablaufen sollte, ergab sich oft eine ungemütliche bis existenzbedrohende Situation. Doch es könnte so vieles anders laufen. In den vergangenen Jahren standen viele Unternehmen unter Vollauslastung. Das hat offenbar oft nicht die Zeit gelassen, sich mit der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells zu beschäftigen. Es lief doch alles so schön – und nun ist alles plötzlich anders.
Aber wie digital sind die Geschäftsmodelle im Mittelstand? Dieser Frage sind wir an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) nachgegangen. In einer Online-Befragung bei mittelständischen Unternehmen haben sich 107 an der Befragung beteiligt. Insgesamt haben wir 73 detaillierte Fragen zu Ausprägungen von Geschäftsmodellen beziehungsweise der digitalen Erweiterung der Geschäftsmodelle gestellt.
Ein Auswertungsergebnis in Höhe von eins repräsentiert den niedrigsten Digitalisierungsgrad. Der Wert vier stellt den maximalen Digitalisierungsgrad dar. Die Abbildung zeigt den durchschnittlichen Digitalisierungsgrad der Geschäftsmodell-Erweiterungen unabhängig von der Branche und Firmengröße.
Abbildung: Digitalisierungsgrade von Geschäftsmodell-Erweiterungen (Bild: THM)
Die Ergebnisse zeigen, dass der Mittelstand nach wie vor das physische Produkt in den Mittelpunkt des Geschäftsmodells stellt. Hierzu haben wir die Fragen zur Konnektivität der Produkte und zur Ausstattung der Produkte mit Sensoren und Datenverarbeitungs-/Rechenleistung gestellt. Mit einem Digitalisierungsgrad von 2,28 von maximal möglichen 4,0 ist aber auch hier noch deutlich Luft nach oben.
Am wenigsten weiterentwickelt ist die Monetarisierung. Darunter verstehen wir diejenigen Aspekte der Digitalisierung, die zur Fakturierung und zur Zahlungsabwicklung gehören. Im Einzelnen haben wir zur Fakturierung die Fragen gestellt, in wieweit den Kunden die Maschinen-/Anlagenverfügbarkeit in Rechnung gestellt wird, ob nutzungsabhängige Abrechnung (pay-per-use) oder sogar die Erzielung von vereinbarten Outputs/Resultaten die Basis ist. Zur Zahlungsabwicklung wollten wir wissen, ob Kunden einen monatlichen Festpreis für eine vereinbarte Leistung (Abo-Modell) zahlen, oder ob bereits die Blockchain–Technologie für Zahlungsprozesse genutzt wird. Mit einem Digitalisierungsgrad von nur 1,14 rangiert die Monetarisierung am Ende der 12 Kategorien zur Erweiterung der Geschäftsmodelle. Die Monetarisierung liegt also noch immer im Wesentlichen im Verkauf der Produkte.
Weitere wichtige Erkenntnisse aus der Studie sind, dass Service als Geschäftsmodellerweiterung angeboten, aber eher nicht als eigene Geschäftseinheit geführt wird. Online-Shops und digitale Showrooms sind noch kaum verbreitet. Geschäftsmodellmöglichkeiten in Verbindung mit Plattformen spielen noch keine große Rolle. Chatbots zur Unterstützung der Kunden werden bislang kaum eingesetzt. Condition Monitoring und Predictive Maintenance für Maschinen/Anlagen bei den Kunden stecken noch in den Anfängen, während klassische Remote-Services weit fortgeschritten sind. Das Angebot von IT-Services wird noch unzureichend ausgeschöpft. Potentiale für das Geschäftsmodell, die sich aus der Nutzung anfallender Daten ergeben könnten, bleiben weitgehend liegen.
Prof Dr.-Ing. Gerrit Sames, THM Fachbereich Wirtschaft, gerrit.sames@w.thm.de
Die vollständige Studie kann von der THM kostenfrei abgerufen werden.