Einfach anfangen – Digitalisierung beginnt mit einem Projekt
Ob Industrie, Handel, Handwerk oder Dienstleister – wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss digitalisieren. Darüber ist man sich branchenübergreifend längst einig. Über die Herangehensweise allerdings nicht. Doch genau diese entscheidet meist über Erfolg und Misserfolg bei der digitalen Transformation. Ingo Scheidweiler, Vorstand der O´Donovan Consulting AG aus Bad Homburg berät und begleitet Unternehmen bei der digitalen Transformation und weiß, wo die Stolpersteine liegen und berichtet in diesem Interview:
Die Digitalisierung geht in Deutschland langsam aber sicher voran. Wo stehen wir Ihrer Meinung nach?
Derzeit sind viele große Unternehmen mittendrin in einer digitalen Transformation. Viele Projekte werden unter diesem Stichwort losgetreten. Es werden Digitalstrategien ins Leben gerufen, Chief Digital Officer (CDO) eingestellt und wer besonders disruptiv sein will, gründet Digital-Labore oder kauft Startups. Dieses Vorgehen mag bei Großunternehmen funktionieren, kleinen und mittelständischen Unternehmen rate ich allerdings davon ab.
Warum soll das beim Mittelstand nicht funktionieren?
Über diesen Weg bauen Sie neben Ihrer normalen Organisation eine Parallelwelt auf. Der CDO ist nicht vernetzt in den Rest Ihres Unternehmens und hat erstmal wenig „Macht“. Externe Berater schreiben Ihnen eine Strategie, die vielleicht zu Ihrem Markt, aber selten zu Ihrem Unternehmen passt. Sie kommt nicht von innen. Dadurch wird es an Akzeptanz mangeln. Ein Labor oder ein Startup wird auch räumlich und organisatorisch neben Ihrer „normalen“ Organisation aufgebaut. Manchmal sogar bewusst, weil der „alten“ Organisation nicht zugetraut wird, das nötige Tempo gehen zu können. Bei all dem fehlt jedoch die Verankerung. Es fehlt das Zusammenwachsen in der Unternehmenskultur. Und eine bestehende Unternehmenskultur ist in der Regel so stark – die verspeist am Ende auch den CDO, das Labor und die Strategie „zum Frühstück“.
Wie sollte man denn als Mittelständler Ihrer Meinung nach in die Digitalisierung einsteigen?
Wir empfehlen Mittelständlern: Entwickeln Sie Ihren eigenen Weg, Ihre eigene Strategie aus ihrer Mannschaft heraus. Und lassen Sie sich dabei Impulse von außen geben. Suchen Sie sich Projekte aus, die Ihnen eine Menge Nutzen versprechen, aber nicht zu komplex und langwierig sind. Dabei kann ein Workshop helfen, in dem mit der Führungsmannschaft die Digitalisierungspotentiale in wesentlichen Unternehmensbereichen analysiert werden. Wir empfehlen dabei auch immer Lieferanten und vor allem Kunden einzubeziehen. Die Methode sich anhand von Kundenreisen (Customer Journey Analysen) die Brille des Kunden auf das eigene Unternehmen aufzusetzen, ist immer ein gewinnbringender Startpunkt in solch einen Workshop und generiert häufig viele Ideen zur Digitalisierung.
Aus diesen gilt es dann, sehr schnell ein oder mehrere Ideen auszuwählen und ihre Umsetzung zu planen. Denn …
… Digitalisierung beginnt mit einem Projekt.
Und wie sieht so ein Projekt im besten Fall aus?
Das Projekt ist so individuell wie das Unternehmen. „Copy & Paste“ aus anderen Unternehmen funktioniert in der Regel nicht als Einstieg in die Digitalisierung. Was bei dem einem Mittelständler funktioniert, kann beim anderen schief gehen. Die Projekte und ihre Ausgestaltung müssen zu der individuellen Unternehmens-DNA passen. Bei der Projektauswahl sollte unbedingt auf eine starke Verankerung in der „alten“ Organisation geachtet werden. Das Entstehen einer Parallelkultur sollte vermieden werden und die Führungskräfte sollten den Fortlauf des Projektes dauerhaft mit Präsenz und Kommunikation unterstützen. Wer bereit ist tiefer in das Thema einzusteigen, dem empfehle ich die Nutzung des Digital Transformation Canvas, der an der FHNW, Hochschule für Wirtschaft speziell für KMU entwickelt wurde.
Und wo steht der Mittelstand Ihrer Meinung nach bei der digitalen Transformation?
Der Mittelstand und kleine Unternehmen stehen an ganz unterschiedlichen Stellen. Von Unternehmen, die ihr gesamtes Geschäftsmodell umkrempeln und digitalisieren, bis hin zu Firmen, die orientierungslos in Agonie verharren reicht hier die Skala. Es finden sich auch trotz der medialen Überpräsenz des Themas auch noch viele Vertreter der Gattung „Das geht schon vorbei und betrifft mich nicht“.
Was sind die größten Risiken, wenn jemand die Digitalisierung „verschläft“?
„Wer nicht digitalisiert, schafft sich ab“ – liest man manchmal. Ein Satz den ich in der Absolutheit so nicht unterschreiben würde. Manche Branchen und Unternehmenstypen bleiben sicherlich von der Digitalisierung unbeeinflusst. Aber die Mehrzahl muss umdenken. Ein „Das geht schon vorbei!“ wird es nach meiner Einschätzung in diesem Thema nicht geben. Fragen Sie mal dazu einen ehemaligen Besitzer einer Videothek.
Und wer die Digitalisierung dennoch ignoriert?
Geht man die Themen nicht an, droht Ungemach von zwei Seiten. Durch weniger Effizienz in den Abläufen, sinkender Attraktivität für Partner in der Wertschöpfungskette, weniger effizientem Vertrieb gehen sukzessive Marktanteile verloren und der Profit sinkt. Eine andere Gefahr droht durch komplett neue Mitspieler im Markt, die über Plattform-Geschäftsmodelle oder überlegene Kundendaten einen Markt für Mittelständler revolutionieren. Die sogenannte disruptive Digitalisierung. Beispiele dafür gibt es mit Uber, Netflix, Amazon bereits wie Sand am Meer. „Betrifft mich nicht“ sagt jetzt der mittelständische Unternehmer, der Service für Aufzüge in großen Wohnanlagen anbietet. Vielleicht täuscht er sich und er sollte Newcomer-Plattformen wie aufzugcheck24 im Auge behalten.
Haben Sie einen abschließenden Rat für Unternehmen, die sich dem Thema Digitalisierung jetzt stellen müssen?
Einfach anfangen! Starten Sie mit einer ersten Analyse und einem Workshop, um das erste Projekt zu finden, mit dem Sie erfolgreichen starten können. Keine Angst vor Fehlern – die gehören dazu.
Nehmen Sie Ihre Mannschaft mit – erschließen Sie das kreative Potential Ihrer Leute – beziehen Sie Ihre Kunden mit ein. Dann werden Sie schon in zwei Jahren auf ein gutes Stück Weg zurückblicken können.
Das Interview führte Dr. Thomas Niemann
Stv. Leiter IHK Hessen innovativ
IHK Frankfurt am Main
Tel.: 069 2197 – 1562